Rendez-Vous mit Deinen Inneren Kritiker*innen

Bild mit möglichen verletzenden Botschaften des Inneren Kritikers

In diesem Artikel möchte ich Dir die Inneren Kritiker*innen vorstellen.

 

Aus psychologischer Sicht, meine ich natürlich. Aus Deinem Alltag bist Du bestimmt gut mit diesen inneren Anteilen vertraut, vielleicht sogar zu gut.

 

Wie Du vielleicht aus eigener Erfahrung oder von einem früheren Blog-Artikel von mir weisst, bestehen wir Menschen psychologisch nicht aus einem einheitlichen Ich, sondern aus unterschiedlichen Ich-Anteilen (Komplexen, Schemata, Ego States etc.) die alle eifrig mitreden wollen, damit wir unser Leben optimal gestalten und leben können.

 

Ein Anteil, der häufig zur Sprache kommt in meinen Behandlungen und Coachings, ist die Innere Kritikerin und der Innere Kritiker. Auch bekannt als Über-Ich, innere Antreiberin, innerer Beobachter. Jene Anteile, die uns kritisch auf die Finger schauen, gut sind mit Vorwürfen und Drohungen, uns im Nacken sitzen oder uns gerne mitteilen, wenn etwas schief läuft, dass sie es doch immer gewusst und uns gesagt hätten.

 

Ein Beispiel einer eher gemässigten inneren kritischen Stimme von mir beim Schreiben dieses Artikels: „Wird es Dir wohl gelingen, Deine Gedanken zu ordnen und in schriftliche Form zu bringen, so dass Deine Leser*innen von diesem Artikel profitieren werden? Du hast gerade viel im Kopf, vielleicht bist Du nicht ganz bei der Sache. Vielleicht solltest Du Dich erst um anderes kümmern, die Einkaufsbestellung einräumen oder Mails beantworten.“

 

Hier fällt es mir relativ leicht, dieser Stimme entspannt zu entgegnen: „Vielen Dank für den Hinweis! Ich werde mich um die Einkäufe und Mails kümmern, spätestens morgen. Ich habe es auf dem Schirm. Jetzt will ich mich um das Schreiben dieses Artikels kümmern.“

 

Ein zweites Beispiel, diesmal einer kritischen Stimme in einer grausameren Variante: „Dir wird es wieder einmal, wie eigentlich immer, nicht gelingen, Deine Gedanken zu ordnen und in eine verständliche schriftliche Form zu bringen, so dass niemand von Deinem Artikel profitieren wird. Das ist reine Zeitverschwendung. Du solltest Dich um wirklich Wichtiges kümmern, beispielsweise um Deinen Haushalt und Deine geschäftliche Korrespondenz, sonst bricht zuhause Chaos aus und bei Deinen Kunden Unzufriedenheit.“

 

Hier ist der Ton schon etwas anders. Diese Stimme ist auch weniger gesprächsbereit. Entsprechend stärker ausgeprägt der Stress und Druck, den sie auslöst. Und die Reaktion darauf ist, zu flüchten (alles stehen und liegen lassen und mich aufs Sofa oder unter die Bettdecke verkriechen), dagegen anzukämpfen und trotzig und mit grossem Energieaufwand das zu tun, was ich tun will (den Text weiterschreiben) oder mich unterzuordnen und mich der Anweisung der Stimme zu fügen (lustlos den Einkauf einräumen und Mails beantworten).

 

Wie erlebst Du das? Was sind die Botschaften oder Killersätze Deiner kritischen Stimmen?

 

Wozu gibt es die Inneren Kritiker*innen?

 

Wir Menschen sind soziale Wesen und haben uns im Lauf der Evolution so entwickelt, dass wir am Besten überleben und uns am Besten entwickeln können in Gruppen. Damit eine Gruppe von Menschen ihr volles Potenzial ausschöpfen kann und einen fruchtbaren Nährboden für die beteiligten Individuen bieten kann, benötigt es eine gewisse Anpassungsleistung der Beteiligten. Eigene Bedürfnisse müssen zurück gesteckt werden können zu Gunsten des Funktionierens der Gruppe.

 

Bei Kindern werden Gruppenwerte und –normen durch die Erwachsenen vermittelt und diese überwachen, ob die Kinder sich danach richten oder nicht.

 

Bei Erwachsenen übernehmen diese Aufgabe eben: Die Inneren Kritiker*innen. Ihr Ziel ist es, unser physisches, psychologisches und vor allem soziales Überleben zu sichern. Indem wir uns möglichst gut in ein soziales Gefüge einbringen und möglichst wenig unangenehm auffallen.

 

Ihre grösste Angst ist, dass Du abgelehnt und ausgegrenzt wirst. Davor wollen sie Dich schützen.

 

Die Art und Weise, wie unsere Inneren Kritiker*innen mit uns umgehen, hängt von unseren Modellen ab. Waren unsere frühen Bezugspersonen wohlwollend, entspannt, grosszügig, grossherzig, tolerant, geduldig, wird auch unser Innerer Kritiker entsprechend mit uns umgehen.

 

Waren unsere Bezugspersonen im Stress, belastet, überfordert, fordernd, ängstlich, möglicherweise sogar gewalttätig, wird sich dies im Umgang unserer Inneren Kritiker*innen mit uns spiegeln.

 

Merksatz 1: Deine Inneren Kritiker*innen wurden nach dem Modell wichtiger Bezugspersonen von Dir geformt und gehen so mit Dir um, wie Du es Dir von diesen Modellen gewohnt bist.

 

Psychologisch gesprochen, haben unsere Inneren Kritiker*innen noch eine andere Aufgabe. Sie versuchen, Dich vor seelischen Verletzungen zu schützen. Indem sie versuchen, Dich vor Emotionen und Impulsen zu schützen, die Dir einmal in Deinem Leben Ärger eingebrockt haben. Wenn Deine Traurigkeit, Wut, Angst, Lebendigkeit etc. Deine Bezugspersonen belastete, versuchen Deine Kritiker*innen in der Folge zu verhindern, dass Du diese Gefühle wieder erlebst, geschweige denn zum Ausdruck bringst.

 

Merksatz 2: Je grausamer Deine Inneren Kritiker*innen mit Dir umgehen, desto stärker sind sie im Stress. Und der Stress der Inneren Kritiker*innen ist ein guter Indikator für die Anspannung in Deiner Inneren Familie. Die kann situativ hoch sein, aufgrund einer vorübergehenden Belastungssituation oder chronisch, als Folge von Entwicklungstraumata.

 

Jetzt verstehst Du vielleicht, wieso es Dir im Alltag nicht hilft, gegen Deine Kritiker*innen anzukämpfen, vor ihnen zu flüchten oder Dich ihnen zu unterwerfen. Weil das alles Stressreaktionen sind. Und was passiert, wenn Du gestressten Menschen mit eigenem Stress begegnest? – Sie geraten noch mehr in Stress.

 

Merksatz 3: Je stärker Du versuchst, vor Deinen Inneren Kritiker*innen zu flüchten, sie zu bekämpfen oder Dich ihnen anzupassen, desto stärker werden sie.

 

Was ist also die Lösung?

 

Loswerden kannst Du sie nicht. Willst Du vermutlich auch nicht, ausser Du möchtest von Deinen Trieben und Instinkten angefeuert ungehemmt nackt und um Dich schlagend und schreiend durch die Strassen Deines Wohnorts rennen. Oder ein Einsiedlerleben in den Bergen führen.

 

Du kannst Dich aber mit ihm und ihr anfreunden und ein beidseitig befriedigendes Arbeitsbündnis entwickeln. Oder vielleicht könnt ihr sogar Freunde werden.

 

Wie das geht?

  1. Erkennen.
    Wie machen sich Deine Inneren Kritiker*innen bemerkbar? Was sind ihre typischen Sätze?
  2. Entspannen.
    Stell Dir Deine Innere Kritikerin oder Deinen Inneren Kritiker bildlich vor. Als Mensch, als Fabelwesen, als Hexe, Teufel, Drache etc. Setz Dich mit dieser Figur in der Vorstellung an einen gemütlichen Ort. Auf eine Bank am Waldrand. In ein angenehmes Kaffee. Wo es Euch beiden gut geht.
  3. Bedanken.
    Bedanke Dich bei der Figur, dass sie sich derart intensiv um Dein Überleben und Dein Wohlergehen bemüht. Dieses muss ihr ganz schön am Herzen liegen… Wie fühlt sich diese Erkenntnis für Dich an?
  4. Neugierig sein.
    Statt Dich über Deine Inneren Kritiker*innen zu nerven oder ärgern oder Angst vor ihnen zu haben: Frag sie doch einfach einmal, wie es ihnen geht. Ob sie ihren Job gerne machen. Ob es Spass macht, Dich zu kritisieren, Dich anzutreiben, Dir Angst einzujagen?
  5. Wurzelarbeit.
    Frag dann Deine Inneren Kritiker*innen, wovor sie Dich schützen wollen. Vor welchem Gefühl oder vor welcher Verletzung. Was ist Dein Triggerpunkt, Deine Kernwunde, die es ihnen ermöglicht, Macht über Dich auszuüben? Vielleicht ist es Wut, Trauer, Schuld, Scham, Schmerz, Hilflosigkeit, Ohnmacht. Zeig ihnen, dass Du heute diese Gefühle aushalten kannst und dass es zu keinen negativen Konsequenzen in Deiner sozialen Umgebung kommt, wenn Du die Gefühle zulässt und zum Ausdruck bringst. (Und wenn doch: Wechsle schleunigst die Umgebung).
  6. Fazit.
    Vielleicht erlebst Du, dass die Gefühle und der Stress sich von alleine auflösen. Vielleicht merkst Du aber auch, dass Gefühle auftauchen, die schwierig auszuhalten sind. Von denen Du Dich überflutet, blockiert oder niedergeschmettert fühlst. Zweiteres ist ein Hinweis darauf, dass Deine Inneren Kritiker*innen noch eine weitere Aufgabe ausführen: Sie versuchen, Dich von der Schattenwelt fernzuhalten und Dich vor verletzten Schattenanteilen zu beschützen, die sich ins Exil Deines Unterbewusstseins zurückgezogen haben.

Merksatz 4: Deine Inneren Kritiker*innen versuchen möglicherweise, Dich vor Schattenanteilen zu beschützen. Und halten Dich dadurch von Energiequellen, die Du für Deine seelische Entwicklung benötigst, fern.

 

Das ist aber ein Thema für sich. Dazu erzähle ich Dir sehr gern im nächsten Blogartikel mehr.

 

Für den Moment ist das Seelenfutter genug für Dich. Falls Deine Inneren Kritiker*innen etwas an meinen Erklärungen und Empfehlungen auszusetzen haben sollten, gib ihnen doch die Erlaubnis, mit mir Kontakt aufzunehmen. Ich freue mich immer, von den Inneren Kritiker*innen anderer Menschen zu hören, das lenkt mich von meinen eigenen ab.

 

Herzlich,

Simon

 

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PSYTSG

Psychotherapie Simon Gautschy

M.Sc. Simon Gautschy

Eidg. anerkannter Psychotherapeut
Fachpsychologe für Psychotherapie FSP

Rathausgasse 17

5000 Aarau

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