Ein Stimmungsbericht meiner Heart-iQ-Experience vom vergangenen Wochenende.
Eine Frage, die ich von meinen Patient*innen häufig zu hören bekomme ist: „Bin ich normal?“. Oder als Wunsch formuliert: „Ich möchte gerne normal sein, so wie alle anderen.“ Damit verbunden ist die Empfindung, eben nicht normal zu sein, nicht wie alle anderen.
Wenn ich diese Frage oder diesen Wunsch höre, schmunzle ich in der Regel innerlich. Denn diese Frage und dieser Wunsch haben mich schon mein ganzes Leben begleitet. Und ich habe mich damit abgefunden, nicht wie alle anderen, nicht „normal“ zu sein und gut damit leben zu können. Dachte ich zumindest. Bis zum vergangenen Wochenende.
Was ist normal?
Am vergangenen Wochenende reiste ich für 4 Tage nach Holland für eine sogenannte „Heart iQ experience“. Genauer, nach „New Eden“, zum Zentrum für persönliche Transformation von Christian Pankhurst. Ich hatte eigentlich nicht vor, in meinem persönlichen und Psychotherapeutendasein jemals wieder freiwillig eine Weiterbildung zu besuchen, aber die Arbeit von Christian Pankhurst, sein Charisma und seine Vision haben mich dermassen beeindruckt, dass ich seine Vorgehensweisen am eigenen Leib erfahren wollte.
Ein collageartiger Zusammenschnitt der Normalität von New Eden.
New Eden ist ein idyllischer Rückzugsort in der weiten Natur von Nordholland. Ein Gebäude mit Seminarräumen,
Übernachtungsmöglichkeiten, umgeben von 50 Hektaren Land mit Wald, Froschteichen, Schafweiden und zudem ein Vogelparadies. Ein paradiesischer Ort.
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Bei der Ankunft begrüssen mich die Managerin des Anlass, Nicki und Roel der technische Verantwortliche mit einer warmen Umarmung und zeigen mir mein Zimmer, das ich mit dem 25-jährigen holländischen Psychologiestudenten Rick teilen werde. Rick hat keine Ahnung, was ihn erwartet. Er hat von einem Freund von Heart iQ gehört und möchte den Zugang zu seinen Gefühlen verbessern. Ich hoffe, er lässt mich während den 4 Tagen möglichst in Ruhe. Ich bin nicht gern unter vielen Leuten, da soziale Kontakte für mich mit viel Energieaufwand verbunden sind und ich danach jeweils viel Rückzugszeit benötige, um wieder auftanken zu können. Am Liebsten hätte ich mir ein Einzelzimmer gegönnt, was aber nicht möglich war. Ich hoffe, ich kriege genügend Schlaf.
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Erster Seminarblock. 35 Teilnehmer*innen sitzen in zwei Publikumsreihen im grossen Seminarraum. Christian Pankhurst sitzt auf der Bühne mit seinem Headset auf seinem ergonomischen Kniehocker und erläutert den theoretischen Hintergrund von Heart iQ. In unserer Gesellschaft und Kultur hat sich unser innerer Richtwert, unsere Normalität verschoben. In eine verzerrte Richtung. Wir sind von unserer Natur her Stammeswesen, veranlagt dazu und gewohnt, unsere komplexen Nervensysteme in Gruppen zu organisieren und regulieren. Leben heute allerdings in einer überindividualisierten Welt in Vereinzelung und Isolation. Haben unser normales Empfinden von Gemeinschaft und Verbindung verloren. An diesem Wochenende will er uns erleben lassen, wie sich authentisches Sein in Gemeinschaft anfühlt. Damit wir in einer alternativen Normalität zu unserer individuellen Wahrheit zurückfinden können.
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Einige Teilnehmer*innen erhalten das Mikrofon, um sich vorzustellen und ihre Absicht für das Wochenende zu formulieren. Mein Herz klopft heftig, aber ich erhebe mich. Ich sage, wie ich heisse und erlebe, wie mein Name von der Gruppe zurückgesungen wird. Resonanz. Mein Körper entspannt sich. Ich atme tief durch. Und teile mit, dass ich seit der Geburt meines Sohnes spüre, wie mein Herz vor Liebe und Gefühl überschwappt, aber auch feststelle, dass es Blockaden gibt, die mich daran hindern, meine Liebe und meine Gefühle frei und spontan auszudrücken.
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Kurz darauf bin ich auf den Beinen und bewege mich im Takt zu pulsierenden Beats aus dem Lautsprecher. Wir sind nicht hier, um zu denken, zu analysieren und uns in Geschichten zu verlieren. Sondern, um Verkörperung zu erfahren. Embodiment. Coach Sylvie leitet uns an, im Rhythmus der Musik auf den Boden zu stampfen, ein kräftiges „Ja“ und ein genauso kräftiges „Nein“ zu äussern. Verbal und mit dem ganzen Körper. Unser Bedürfnis nach Nähe auszudrücken genauso wie unser Bedürfnis nach Grenzen und Abgrenzung. Und damit mit sich selber und mit anderen zu tanzen. Meine Tanzpartnerin schleudert mir ein lautes „Nein“ entgegen und strahlt mich dabei an. Ich strahle zurück und antworte mit einem befreienden „Ja“.
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Abendsession. Mir gegenüber auf einem Stuhl sitzt die Holländerin Sonia, der ich hier zum ersten Mal in meinem Leben begegne. Wir sollen uns für die kommenden eineinhalb Stunden unentwegt in die Augen sehen. Genauer: Ins linke Auge. Mein Nervensystem gerät in Panik. Im Alltag halte ich Blickkontakt gerade einmal etwa eine halbe Minute aus, dann wird es mir unangenehm und ich muss meinen Blick abwenden. Im Hintergrund läuft angenehme Musik. Wir starren. Und atmen. Und starren weiter. Und atmen tief. Etwas tiefer. Langsam löst sich die Erstarrung. Ohne Vorstellung davon, wie viel Zeit vergangen ist, werden wir angeleitet, uns zu erheben und energetisch aktivierende Bewegungen durchzuführen, die mich an Bewegungen aus dem Qi Gong erinnern. Während wir weiterhin den Blickkontakt halten. Ich spüre den Bodenkontakt. Fühle mich zunehmend entspannter. Präsenter. Und auf einmal kehrt eine Ruhe ein in mir, die ich so noch nie erlebt habe in meinem Leben. Als ob sich ein unendlich weiter Raum in meinem Herz öffnen würde. Ich teile dies mit der Gruppe nach der Übung, nachdem wir Matratzen im Raum verteilt und es uns für eine Reflexionsrunde gemütlich gemacht hatten. Einige kuscheln sich aneinander. Ich achte sorgfältig auf genügend Distanz zu meinen Nachbar*innen auf der Matte. Am Ende des Blocks geht das Kuscheln weiter. Ich suche das Weite und bin froh, in meinem Zimmer auf Rick zu treffen. Auch er hatte keine Lust auf Kuscheln und war froh, sich zurückziehen zu können. Er fühlt sich aufgewühlt und durcheinander.
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Tag zwei. Nach einer Aufwärmübung gehen wir durch den Raum, erst mit geschlossenen, dann mit geöffneten Augen und suchen Kontakt und Verbindung. Ganz viel Gestreichel, Lächeln, schwebende Arme und wehende Hände. Ich spüre Genervtsein und Ärger hochkommen. Ich kenne diese Menschen nicht wirklich. Für mich fühlt es sich unecht, unauthentisch an, mit ihnen in nahen Kontakt zu gehen. Ich ziehe mich aus der Gruppe zurück und setze mich an den Rand. Lasse auf mich wirken, was ich gerade erlebe. Ich spüre den tiefen Wunsch, die Sehnsucht, mich auch so auf Begegnungen, Kontakte einlassen zu können, wie es anderen scheinbar mühelos gelingt. Will aber auch authentisch sein, darum geht es ja an diesem Wochenende, und spüre meine Begrenzung, dass ich das nicht kann. Erlebe meine Angst, aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Mein Nervensystem reagiert stark mit einem Fluchtimpuls. War es richtig hierher zu kommen? Soll ich das ganze abbrechen? Bin ich nicht normal? Früher hätte ich dem Impuls nachgegeben. Aber ich bin hier, um präsent zu sein und zu bleiben. In der Reflexionsrunde nach der Übung fordere ich das Mikrofon und teile der Gruppe mit, dass ich Wut und Angst erlebe und diese Gefühle nicht unterdrücken, sondern mit ihnen präsent sein und bleiben möchte. Christian fragt mich mit seinem schelmischen Grinsen, ob ich etwas Wut rauslassen möchte. Der Vorschlag fühlt sich gut an, aber ich fühle mich auch überrumpelt mit der Vorstellung, dies vor der Gruppe zu tun. Ich sage, dass ich mich etwas hilflos fühle und froh um Unterstützung wäre. Rick springt auf und stellt sich mir zur Verfügung. Wir stellen uns einander gegenüber auf, drücken die Hände gegen die Brust des anderen und beginnen, einander anzuknurren, zu schreien und unsere Kräfte zu messen. Ein angenehmes, kraftvolles, lebendiges Gefühl breitet sich in meinem Körper aus. Ich will einen Gang hochschalten, aber Rick löst sich aus der kämpferischen Umarmung. Holt tief Luft. Christian fragt, was gerade passiert. Ricks System ist in Überforderung geraten. Angst kam hoch. Wie es bei mir sei, will er wissen. Ich fühle Freude über das energetisierende Gefühle, aber auch Frustration, wegen des Abbruchs. Beides hat Platz. Alles hat Platz. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Nur die im Moment erlebte gefühlte und verkörperte Wahrheit. Es geht nicht darum, etwas für immer rauszulassen, abzuschliessen oder zu heilen. Sondern darum, die im Moment gefühlte Wahrheit ganz zu erleben. Kontrolle abzugeben. Rick und ich umarmen uns. Am Abend im Zimmer ertappen wir uns dabei, wie wir uns in Gesprächen verlieren und erinnern uns, dass wir zur Ruhe kommen und schlafen sollten, da wir noch zweieinhalb anspruchsvolle Tage vor uns haben.
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Ich bin um 5 Uhr wach. In den beiden vorherigen Nächten schlief ich jeweils nur 5 bis 6 Stunden. Und jetzt schon wieder. In der Regel benötige ich 8 bis 9 Stunden Schlaf, ansonsten laufe ich tagsüber auf Sparflamme, bin schnell gereizt und dünnhäutig. Jetzt fühle ich mich frisch, energetisiert, lebendig. Präsent. Ich liege noch etwas im Bett und gehe dann nach draussen, wo Bodennebel den Rasen bedeckt und der Morgentau im Licht der aufgehenden Sonne glitzert. Begleitet vom Gesang der Frösche im nahegelegenen Teich führe ich meine morgendliche Atemmeditation durch. Danach stehe ich vor der weiten Rasenfläche vor dem Eingang des Gebäudes, atme die Sonne ein, die Weite des nordholländischen Himmels, spüre die Geborgenheit, welche von den Bäumen um das Gelände ausgeht. Und breche in Tränen aus. Spüre den Impuls, die Tränen zurückzuhalten. Gebe ihm nicht nach. Lasse einfach los. Die Tränen fliessen.
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Wir sitzen in Kleingruppen und teilen einander alles mit, wofür wir uns am Meisten schämen in unserem Leben und was wir eigentlich nie jemandem erzählen möchten. Was wir anderen angetan haben. Was uns angetan wurde. Sexuelle Fantasien und Praktiken. Betrug und Missgunst. Neid und Lüsternheit. Unsere Nervensysteme sind hochaktiviert. Panische Rehaugen blicken mir entgegen. Wieder der Fluchtimpuls. Will ich das wirklich? Und dann die Erkenntnis beim Zuhören: „Das ist doch menschlich. Mir sitzen Menschen gegenüber.“ Und: "Ich bin auch nur ein Mensch. Und das ist ok so." Ich fühle Verständnis. Mitgefühl. Liebe. Ich teile meiner Kleingruppe mit, dass ich mich für mein intensives Bedürfnis nach Kontakt, Zuneigung, Wärme, Liebe schäme. Lasse die warme Dusche des Mitgefühls aus den Augen meiner Gruppe über und durch meinen Körper fliessen, direkt in mein Herz. Wir stehen auf und umarmen einander. Weinen und lachen gleichzeitig. Ich schüttle den Kopf. Wieso schleppte ich all den Ballast so viele Jahre mit mir herum verbunden mit so viel Angst, zurückgewiesen, verlassen, nicht mehr geliebt zu werden, wenn ich davon erzähle? Ist das normal?
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Abend des letzten Tags. Matratzen im Raum. Gruppenkuscheln. Zwei Personen, von denen ich nicht einmal den Namen kenne, liegen dicht an mich geschmiegt neben mir. Ich spüre eine Hand, von der ich nicht weiss, wem sie gehört. Immer wieder tiefe Atemzüge. Entspannte Seufzer. Alles ist gut.
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Schlussrunde. Die letzte Gelegenheit, noch etwas mit der Gruppe zu teilen oder zu erfahren, bevor die experience zu Ende geht. Ich greife zum Mikrofon und teile Christian mit, dass ich sehr erfüllende und intensive Verbindungserfahrungen machen konnte mit einzelnen Personen und in der Kleingruppe, aber die Verbindung immer wieder abbrach, sobald wir im Grossgruppensetting zusammenkamen. Dass beim Übergang jeweils mein Nervensystem dicht machte. Und das Gefühl, anders zu sein, nicht normal aufkam. Mit seinem schelmischen Grinsen fragt er mich, ob ich Lust auf ein Experiment hätte. Ich nicke und stelle mich vor ihn auf die Matte, die Grossgruppe im Halbkreis um mich herum. Er lässt erst einige Frauen sich im Kreis um mich stellen und dann die Männer, damit ich prüfen kann, ob es eher darum geht, Kontakt mit weiblicher oder männlicher Energie aufzunehmen, um ganz in Verbindung gehen zu können. Der Fall ist klar, ich will eindeutig männliche Energie spüren. Und möchte mich in diese Energie fallen lassen. Ich wähle Bastian, einen grossgewachsenen, schlanken Holländer mit verletzlichem Ausdruck in den Augen aus – er soll sich hinter mich setzen und mich halten. Ich lehne mich zurück und an ihn. Die anderen Männer im Kreis knien sich nieder, halten meine Hände, fassen meine Beine und Füsse an. Ich spüre Anspannung in meinem ganzen Körper. Langsam und behutsam versuche ich, die Anspannung zu lösen. Loszulassen. Mich gehalten und getragen fühlen zu lassen. Wieder kommen die Tränen. Und wieder der Impuls, sie zurückzuhalten. Und wieder will ich ihm nicht nachgeben. Ich lasse los. Lasse die Tränen fliessen. In meinem ganzen Leben habe ich vielleicht 3 Mal vor Menschen geweint. Und jetzt vor 34 Menschen, die ich vor diesem Wochenende noch nie gesehen habe in meinem Leben. Ich wünsche mir, dieser Moment würde nie zu Ende gehen. Ich fühle mich normal. Das hier ist normal.
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Der Transfer in den Alltag.
Ich sitze am Amsterdamer Schiphol-Flughafen. Es herrscht Chaos aufgrund von Personalmangel. Ich stand zwei Stunden Schlange um dann am Gate festzustellen, dass das Flugzeug ohne mich abgeflogen war und ich die Nacht am Flughafen verbringen muss. Ich fühle mich im Stich gelassen, verängstigt, einsam, überfordert. Früher hätte ich diese Gefühle nicht einmal wahrgenommen, weil mein Nervensystem derart im Stress gewesen wäre. Jetzt lasse ich sie einfach kommen. Setze mich auf einen Stuhl neben dem Gate. Lasse die Tränen kommen. Lasse die Gefühle fliessen. Und auf einmal kommen die Erinnerungen an die vergangenen Tage hoch. Und damit verbunden die verkörperte Erkenntnis: Ich bin nicht allein. Ich bin Teil eines Stammes. Eines Stammes, der mich trägt. Durch jede Erfahrung. Auch diese. Mein Herz ist weit offen. Und ich will es nicht wieder verschliessen.
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Was ist normal für Sie?
Vielen Dank für Ihr Interesse und herzlich willkommen bei Ihnen!
Bleiben Sie bei sich und gehen Sie liebevoll mit sich und Ihrem Herz um. Nebst dem, dass Sie so einem Herzinfarkt vorbeugen, ist das auch auf emotionaler Ebene das Beste, was Sie für sich und Ihre Mitmenschen tun können.
Herzlich,
Simon Gautschy
Ps. Möchten Sie noch mehr über den Hintergrund und die Wirkungen der Heart-iQ-Methode von Christian Pankhurst erfahren? In diesem Blogartikel finden Sie weitere Informationen dazu.
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